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Selma Hess und ihre Mörder

Walter Manoschek: "Serbien ist judenfrei"

Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42
Band 38 der "Beiträge zur Militärgeschichte", R. Oldenbourg Verlag, München 1995


Der Staatsrat und SS-Gruppenführer Harald Turner, stationiert in Serbien, schrieb im April 1942 in einem privaten Brief an Karl Wolff, den Chef des Persönlichen Stabes von "Reichsführer SS" Heinrich Himmler:
 

"Schon vor Monaten habe ich alles an Juden im hiesigen Lande Greifbare erschießen und sämtliche Judenfrauen und Kinder in einem Lager konzentrieren lassen und zugleich mit Hilfe des SD einen >Entlausungswagen< angeschafft, der nun in etwa 14 Tagen bis 4 Wochen auch die Räumung des Lagers endgültig durchgeführt haben wird."

Mit dem Entlausungswagen meinte der SS-Gruppenführer einen jener Lastwagen vom Typ Saurer, die eingesetzt wurden, um Menschen mit Kohlenmonoxyd zu ermorden. Dazu wurden die Abgase des Motors durch einen armdicken Schlauch in das Innere des Kastenaufbaus geleitet. 70 bis 100 Menschen passten dicht an dicht gedrängt in den Wagen, der einem Möbeltransporter ähnlich sah.

Eines dieser Fahrzeuge wurde in Serbien eingesetzt. Zwischen März und Anfang Mai 1942 fuhr es täglich vom Sammellager in Sajmiste (Semlin), einem nördlichen Vorort von Belgrad, nach Jajinci im Süden der Stadt. Dort hatten serbische Gefangene Massengräber ausgehoben. 6280 Juden, meist Frauen und Kinder, wurden so umgebracht. Darunter wahrscheinlich auch eine junge Frau aus Eschweiler, Selma Hess, und ihr Baby, dessen Name nicht bekannt ist.

Bei der Suche nach Spuren des Schicksals von Selma Hess, geborene Heumann, bin ich auf das wenig bekannte Buch von Walter Manoschek gestoßen. Ihm geht es vor allem darum, die Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen der Nazis in Serbien zu beweisen; das macht er detailliert und schlüssig. In drei kurzen Kapiteln geht er auch auf den so genannten Kladovo-Transport ein. Kladovo-Transport: Im November 1939 versuchten rund tausend junge Frauen und Männern, manche erst zwischen 15 und 17 Jahren alt, Palästina mit Schiffen über die Donau und durch das Schwarze Meer zu erreichen. Der Plan schlug fehl. In dem rumänischen Grenzort Kladovo wurden die Schiffe aufgehalten, die Flüchtlinge auf Kohlenschleppern donauaufwärts zurückgeschickt. Sie lebten mehrere Monate in einem Lager nahe Šabac. Dort fielen sie im Frühjahr 1941 in die Hände der Deutschen, vor denen sie seit achtzehn Monaten auf der Flucht waren.

Rund 400 Männer von den Kladovo-Flüchtlingen wurde im Oktober 1941 als Geiseln ermordet. Insgesamt wurden 2200 Juden und auch serbische Zigeuner erschossen, als "Sühne" für einen Überfall serbischer Partisanen, bei dem 22 meist österreichische Soldaten getötet wurden waren. Die Frauen und Kinder aus dem Kladovo-Transport kamen in das Konzentrationslager Sajmiste.

"Wahrscheinlich", "vielleicht" - solche Wörter stehen vor fast allem, was bis heute über das Schicksal von Selma Heumann bekannt ist. Wahrscheinlich bereitete sich die junge Frau aus Eschweiler von Mai bis November 1939 in einem zionistischen Jugenddorf auf das Leben in Palästina vor, vielleicht war es im "Landwerk Ahrensdorf" südlich von Berlin. Vielleicht lernte sie schon dort ihren Mann kennen, der wahrscheinlich mit Vornamen Benö hieß, Benö Hess. Vielleicht hat sie Benö Hess aber auch erst in den anderthalb Jahren Flucht auf den Donauschiffen und in Lagern am Donauufer kennen gelernt und geheiratet. Ziemlich sicher wurde Selma Hess während ihrer langen Flucht Mutter. Jedenfalls hat ihr Bruder, der den Holocaust überlebte, von einem Kind berichtet, aber der Bruder lebt heute nicht mehr.

In "Serbien ist judenfrei" berichtet Walter Manoschek, wie die Gaswagen entwickelt, an Kriegsgefangenen getestet und mit Firmenwerbung getarnt wurden, wie dann einer der Wagen von der Leitung des KZs Sajmiste angefordert und dort eingesetzt wurde:
 

"Einer der beiden Gaswagenfahrer verteilte vor dem Einladen Süßigkeiten an die Kinder, so dass diese sich immer um das Gasauto sammelten und die Verladung rasch vor sich ging."

Ein- oder zweimal täglich, aber nicht sonntags, fuhr im März und April 1942 der Gaswagen quer durch Belgrad. Sogar die Namen der beiden Männer, die den Wagen lenkten, die Bonbons verteilten und bei jeder Fahrt den Schlauch anschlossen, mit dem die tödlichen Gase in den mit Blech ausgekleideten Wagen geleitet wurden, hat Manoschek überliefert. Es waren die SS-Scharführer Götz und Meyer.
 

David Albahari: Götz und Meyer

Roman. 154 Seiten, Eichborn-Verlag 2003

Was geht in Menschen vor, die Bonbons an Kinder verteilen, die sie wenige Minuten später ermorden werden? Der serbische Schriftsteller David Albahari hat versucht, sich in die SS-Scharführer Götz und Meyer hinein zu versetzen. Aber je näher er ihnen kommt, desto mehr verschwimmen ihm ihre Gesichter.
 

"Götz oder Meyer öffnet gern das Fenster, um die frische Luft auf seinem Gesicht zu spüren. Anfangs störten ihn bei dieser Tagträumerei die dumpfen Schläge und die Schreie, die aus dem hinteren Teil des Lastwagens zu ihm drangen. Aber später hörte er sie nicht mehr. Und diese Schläge konnten ja nicht ewig dauern, die Schreie ebensowenig, denn drinnen fanden sich hauptsächlich Frauen und Kinder. Bei erwachsenen Männern hätte alles viel länger gedauert, auch die Schläge, und so war ihre Arbeit wenigstens in dieser Hinsicht leichter."

De Frage, was in Menschen vorgeht, die es als ihre Aufgabe ansehen, andere Menschen in Massen zu ermorden, kann auch David Albahari nicht beantworten. "So lange man uns diese Aufgabe anvertraut, ist dies unser Leben", lässt er einen der beiden Fahrer kurz vor dem Ende des Romans sagen, und das ist einer der schrecklichsten und trostlosesten Sätze in diesem erschreckenden Buch. Es ist schmerzhaft zu lesen, aber lesen muss man es doch. Es beantwortet keine Fragen, aber es macht klar, dass es Fragen gibt, für die man die Antwort nur in sich selber finden kann. 

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