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Notizen & Neues 2013

14 uralte hebräische Grabstein-Texte aus Weisweiler

Veröffentlicht von Administrator (admin) am 12 Dec 2013
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„Im Jahre 1987 machte sich eine Gruppe von Schülern des Franziskus-Gymnasiums Vossenack auf die Suche nach Spuren jüdischen Lebens im Raum Düren und Aachen.“ So beginnt die 1995 erschienene Dokumentation „Friedhof Weisweiler“. Das fast 200 Seiten starke Buch berichtet von einer Aufsehen erregenden lokalhistorischen Entdeckung. Im Hang unterhalb der damals bekannten Grenzen des jüdischen Friedhofs Weisweiler an der Langerweher Straße fanden die Schüler unter Erde, Efeu und Wurzelwerk weitere Grabdenkmäler. Es handelte sich, wie ich 1995 in einem Zeitungsbericht schrieb, „um eine für den rheinischen Großraum außergewöhnlich alte Grabsteingruppe“. Die Steine wurden geborgen, zum Teil auch restauriert und von Steinmetzen ergänzt. Mit der Ausgrabung wurde unter anderem belegt, dass der Friedhof ursprünglich größer war als bekannt. Dass der Weisweiler Friedhof heute unter Denkmalschutz steht und in seiner ursprünglichen Größe eingefriedet wurde, ist vor allem der Aktion der Schüler vor 25 Jahre zu verdanken. Ein weiteres Ergebnis war 1995 eine Ausstellung im Eschweiler Rathaus. Sie wurde vom damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, eröffnet.

Die jüdische Gemeinde in Weisweiler ist viele Jahrhunderte alt. Ältester Nachweis ist ein Schutzbrief, ausgestellt 1546 von Angehörigen der Weisweiler Adelsgeschlechter von Paland und Hatzfeld für „Menlo den Arzt“. Mit dem Schutzbrief wurde diesem Juden gestattet, sich samt seiner Familie für sieben Jahre in Weisweiler niederzulassen, Handel zu treiben, auch Geld zu verleihen, jedoch keinen Wucher zu treiben.

Der jüdische Friedhof an der Langerweher Straße in Weisweiler.

Wann der Friedhof angelegt wurde, ist nicht bekannt. Der älteste von der Schülergruppe aus Vossenack entdeckt Grabstein – er ist außergewöhnlich gut erhalten – für den am 15. Dezember1691 gestorbenen Jehuda ben Schmuel setzt damit das Datum: Spätestens 1691, vor also mehr als drei Jahrhunderten, muss es den jüdischen Friedhof in Weisweiler schon gegeben haben – knapp anderthalb Jahrhunderte nach der Ansiedlung von Menlo dem Arzt.

 

Wer starb im Monat Elul im Jahr 577?

 

Aus dem Jahr 1691 ist der älteste der 14 Grabsteine im alten Teil des Weisweiler Friedhofs, aus dem Jahr 1817 der jüngste. Die hebräischen Schriftzeichen auf diesem jüngsten Stein sind nur sehr flach eingemeißelt und kaum zu entziffern (siehe Foto). In der Dokumentation „Friedhof Weisweiler“ von 1995 sind von diesem Grabstein gerade einmal diese Zeilen-Bruchstücke entziffert: „Hier ist begraben (…) verschied und wurde begraben (…) [El]ul 577 nach der kleinen Zählung. Sei ihre Seele eingebunden in das Bündel des Lebens“. Daraus lässt sich schließen, dass es sich bei der Verstorbenen um eine Frau handelte, die im August oder September 1817 (Elul 577 nach jüdischer Zeitrechnung) beerdigt wurde.

Mit detektivischem Spürsinn gelang es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts, weitere Zeilen des stark beschädigten Steins – der rechte Teil fehlt völlig – lesbar zu machen. Der jetzt bekannte Teil der Inschrift lautet: „Hier ist begraben (…) Schönche, Tochter des Sussmann, Gattin des geehrten Herrn Mordechai, Sohn des David, (…) verschieden und begraben (...)Elul 577 der kleinen Zählung. Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.“

Der jüdische Kalender, um das zwischendurch kurz zu erläutern, rechnet die Jahre seit Erschaffung der Welt, und die Welt wurde, so hat es vor langer Zeit der Patriarch Hillel II. nach gründlichem Studium der Thora, also des Alten Testamentes, herausgefunden, im Jahr 3761 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung erschaffen. Derzeit (Dezember 2013) schreiben wir also das Jahr 5774, oder „774 nach der kleinen Zählung“, nämlich wenn die Tausender weggelassen werden. Das Jahr 5774 begann am 5. September 2013 mit dem jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana, es dauert bis zum 24. September 2014.

 

Suche in alten Urkundenbänden

 

Elul 577? Also August oder September 1817? Da müsste ich doch... Der Text war kaum in der Epidat-Datenbank veröffentlicht, als ich auch schon im Archiv saß und die 200 Jahre alten Sterbeurkunden der damals selbständigen Gemeinde Weisweiler durchblätterte. Es dauerte nur Minuten, bis ich die Verstorbene hatte: „Im Jahr Tausendachthundertsiebenzehn den neunten September erschien vor mir, Friederich Mathias Lohn, Bürgermeister von Weisweiler...“ – wie das in alten Urkunden so ist, wo der Bürgermeister immer zuerst genannt wird, weil er ja viel wichtiger ist als der Verstorbene oder der frisch Geborene oder dessen Angehörige – jedenfalls beurkundete der Weisweiler Bürgermeister damals den Tod von Schanet Jacobs, geboren in Weisweiler, 42 Jahre alt, Ehefrau von Matthias Marx, Tochter von Sousmann Jacobs und Caroline Capell. Sie starb „am Abend des 8. September 1817 gegen 19 Uhr, das war Montag, der 27. Elul 577, kurz vor Beginn eines neuen jüdischen Tages“, wie jetzt in der Datenbank Epidat zu lesen ist. Ihr Tod war möglicherweise die Folge einer späten Schwangerschaft, denn drei Monate zuvor hatte sie ein Kind geboren, das zwei Tage nach seiner Geburt starb. Ihr Vorname wird in Urkunden mal Schanet, mal Schenetta geschrieben, das sind deutsche Formen des französischen Namens Jeanette. Aber ob Schanet oder Jeanette – diese Namen bedeuten das Gleiche wie das altertümliche „Schönche“: die Schöne.

 

Stadt baute neue Friedhofsmauer (siehe Foto)

 

Der denkmalgeschützte jüdische Friedhof in Weisweiler wird von der Stadt Eschweiler betreut und gepflegt. Vor wenigen Monaten ließ die Stadtverwaltung an der Ostseite des Friedhofs eine neue Mauer errichten, als Ersatz für einen Zaun, der nur notdürftig und ungenau die Grundstücksgrenze markiert hatte.

Wer den Friedhof besuchen möchte, sollte sich bei der Stadtverwaltung anmelden. Im Rathaus gibt es auch den Schlüssel zum Tor der Anlage. Von den rund 60 noch ganz oder teilweise erhaltenen Grabdenkmälern erinnern viele an die seinerzeit bekannten, heute fast vergessenen Weisweiler Familien Levy, Kaufmann und Levenbach.

 

Das Foto des Grabsteins von Schönche bat Sussmann ist der Dokumentation "Friedhof Weisweiler", Ullrich-Drucke GmbH Düren 1995 entnommen. Alle anderen Fotos: Friedhelm Ebbecke-Bückendorf. Der Text der Inschrift des Grabsteins von Schönche bat Sussmann/Schanet Jacobs ist zitiert nach Digitale Edition - Jüdischer Friedhof Eschweiler-Weisweiler (Alter Teil) (1691-1817 / 14 Einträge):  Inv.-Nr. 14 - URL: http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?id=wsw-14

 

Zuletzt geändert am: 12 Dec 2013 um 15:57:28

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