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Notizen & Neues 2014

Sara Höflich aus Weisweiler starb wahrscheinlich in einer Gaskammer in Brandenburg

Veröffentlicht von Administrator (admin) am 25 Jun 2014
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Von der Hochzeit der Eltern von Sara Höflich existiert sogar noch eine Heiratsanzeige. Am 23. Mai 1872 heiratete der Handelsmann Louis Höflich aus dem Dorf Frauweiler bei Bergheim, 28 Jahre alt, und die 27-jährige Julie Kaufmann aus Weisweiler. Gefeiert wurde drei Tage später im Hotel Kurth im Nachbarort Langerwehe: „Die Feier unserer Vermählung findet am Sonntag den 26. d.M. in obigem Gasthof statt, wozu wir Freunde und Bekannte ergebenst einladen. Weisweiler und Buchholz, im Mai 1872. Julie Kaufmann, Louis Höflich.“ In welchem Buchholz der Bräutigam damals wohnte, ob in dem Dorf Buchholz im Westerwald oder in der Stadt Buchholz in der Nordheide bei Hamburg, ist nicht bekannt.

Welches Buchholz? Das ist nur ein kleines der vielen Fragezeichen, wenn man die Geschichte von Sara Höflich erzählen will. Ihre Geburt ist dokumentiert, wahrscheinlich auch ihr Tod. Aber dazwischen: nichts.

Sara war das erste der neun Kinder, die das Ehepaar Höflich in den nächsten 20 Jahren bekam. Geboren wurde sie am 17. Mai 1873 in Weisweiler, die Geburtsurkunde wurde vom Vater Louis – eigentlich hieß er Ludwig – und vom damals 73-jährigen Großvater Leon Kaufmann unterzeichnet. Die nächste Nachricht ist die von ihrem Tod, und diese Nachricht wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Im Gedenkbuch der Bundesrepublik, das die aus Deutschland stammenden Opfer der Shoa auflistet, steht sie drin: Sara Pfeuffer geborene Höflich, geboren am 20. Mai 1875 in Weisweiler/Düren, wohnhaft in Wunstorf. Deportationsziel: ab Wunstorf, Heil- und Pflegeanstalt, am 27. September 1940 nach Brandenburg an der Havel, Tötungsanstalt. Todesdatum/-ort: 27. September 1940, Brandenburg. Euthanasie.“

Wunstorf in Niedersachsen? Ein Krankenhaus für psychisch erkrankte Menschen? Das Geburtsdatum stimmt doch gar nicht! Und Höflich war ja kein so seltener Name! War das überhaupt Sara Höflich aus Weisweiler?

Wahrscheinlich schon. Obwohl das falsche Geburtsdatum sehr, sehr misstrauisch machen muss. Aber es gibt andere Indizien. Das wichtigste Indiz ist eine Todesanzeige, die im Dezember 1943, also noch mitten im 2. Weltkrieg, in der deutsch-jüdischen Zeitung „Aufbau“ in den USA erschien: „Für die vielen Beweise herzlicher Teilnahme anlässlich des plötzlichen Hinscheidens (15. Nov. 1943) meines geliebten Gatten, unseres unvergesslichen Schwagers, Onkeln und Neffen Josef Pfeuffer (früher Weisweiler und Euskirchen im Rheinland) sage ich auf diesem Wege meinen herzlichen Dank. Frieda Pfeuffer, geb. Daniel, Flemington, New Jersey.“ (Siehe Bild)

Getrauert wurde da um den kaufmännischen Angestellten Josef Pfeuffer, der am 12. Juni 1903 in Köln zur Welt kam. Der Euskirchener Lokalhistoriker Hans-Dieter Arntz bestätigt auf seiner Internet-Seite, woran sich auch Weisweiler Zeitzeugen erinnert haben: Da gab es eine Familie Pfeuffer in Weisweiler, sie sei aber vor der Nazi-Zeit schon weggezogen. Stimmt, sagt Arntz: Am 27. Februar 1932 zog die Familie Pfeuffer von Weisweiler nach Euskirchen, Hochstraße 56. Am 26. September 1938 wanderten die Pfeuffers nach New York aus. Frieda Pfeuffer geborene Daniel entstammte einer großen jüdischen Familie aus Kirchheim bei Euskirchen. Mehrere ihrer Geschwister wanderten ebenfalls in die USA aus, andere kamen im Ghetto Minsk ums Leben. Frieda Pfeuffer-Daniel besuchte noch im Juni 1984 Euskirchen.

Die Namen von Josef und Frieda Pfeuffer stehen auch auf einem Datenblatt der Volkszählung 1940 in den USA. Das Ehepaar, kinderlos, wohnte damals bei Verwandten in New York. Josef Pfeuffer arbeitete als Koch in einem Hotel, auch seine Frau war berufstätig.

Nun ist Pfeuffer erstens kein sehr häufiger und zweitens kein typisch jüdischer Name. Er kommt überwiegend in Bayern vor, als Abwandlung des Namens Pfeiffer. Wenn also Anfang der 1930-er Jahre eine Familie Pfeuffer in Weisweiler lebte, und eine 1873 oder 1875 geborene, aus Weisweiler stammende Frau namens Pfeuffer Opfer der Shoa wurde, liegt die Vermutung der Verwandtschaft nahe. Möglicherweise war der 1903 in Köln geborene Josef Pfeuffer ein Sohn von Sara Pfeuffer-Höflich und damit Halbjude. Dazu passt auch, dass Zeitzeugen über das 1932 aus Weisweiler fortgezogene Ehepaar Pfeuffer berichteten, nur die Ehefrau sei jüdisch gewesen. Eine Erklärung für die unterschiedlichen Geburtsdaten steht aber noch aus.

Am 17. August 2001 wurde auf dem Gelände des Landeskrankenhauses im niedersächsischen Wunstorf eine Gedenktafel enthüllt. (Siehe Bild - es zeigt das Mahnmal im Innenhof des Klinikum der Region Hannover, dem ehemaligen Landeskrankenhaus Wunstorf, Entwurf Andreas Spengler, Foto W. Hoffmann). Das Mahnmal soll an die Patientinnen und Patienten erinnern, die in der Nazi-Zeit von Wunstorf aus in den Tod geschickt wurden. Unter anderem steht auf dieser Gedenktafel der Satz: „Im September 1940 wurden 158 psychisch Kranke jüdischen Glaubens aus ganz Norddeutschland hierher verbracht und am 27. 9. 1940 zum Zuchthaus Brandenburg in den Gastod geschickt.“ Unter diesen 158 war auch Sara Pfeuffer-Höflich aus Weisweiler. Sie wurde, wenn es sich tatsächlich um die Tochter der Weisweiler Familie Höflich handelte, 67 Jahre alt.

Das ehemalige Zuchthaus in Brandenburg an der Havel war bereits in den Jahren 1933/34 als Konzentrationslager benutzt wurden. Ende 1939 wurde es unter der Tarnbezeichnung „Landespflegeanstalt“ zu einer Tötungsanstalt für Menschen umgebaut, die wegen psychischer Leiden als „lebensunwert“ bezeichnet wurden. Es war die erste Tötungsanstalt dieser Art in Deutschland, schrieb 2001 das „Deutsche Ärzteblatt“ in einem Bericht über die NS-Psychiatrie. In Brandenburg wurde der Massenmord, der später Millionen Menschen traf, erprobt. Die 158 kranken Juden, die dort am 27. September ermordet wurden, waren zuvor aus dem ganzen norddeutschen Raum nach Wunstorf gebracht worden. Sara Pfeuffer-Höflich hat also nicht in Wunstorf gewohnt, sondern entweder in irgendeiner anderen Heil- und Pflegeanstalt in Norddeutschland oder bei ihrer Familie – vielleicht in Buchholz in der Nordheide, wo ihr Vater als junger Mann gelebt haben könnte. Von Februar bis Oktober 1940 wurden in Brandenburg 9.972 Personen, darunter auch Kinder, mit Kohlenstoffmonoxidgas ermordet. Die Gaskammern waren als Duschen getarnt und befanden sich in einer Scheune der Anstalt. Die Leichen der Opfer wurden verbrannt.

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf

Zuletzt geändert am: 25 Jun 2014 um 18:30:18

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