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Notizen & Neues 2015

Zeitzeuge Karl Mock (94) erinnert sich an jüdische Familien in Weisweiler

Veröffentlicht von Administrator (admin) am 01 Feb 2015
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Die Familie Meyer

Den Sohn der Familie Meyer habe ich eigentlich noch sehr gut gekannt, das war der Moritz Meyer. Der hatte ein Geschäft zusammen mit seiner Schwester. So weit mir bekannt ist, ist die Familie Meyer schon vorher nach England. Sie hat also den Sprung getan und das hat dann auch funktioniert. Wann das aber genau war, kann ich nicht sagen.

Moritz Meyer war wesentlich älter als ich. Um diese Zeit, als ich ihn gekannt habe, war er so um die 25. [Anmerkung: Moritz Meyer war Jahrgang 1904.] Das Haus der Meyers war Hauptstraße Ecke der früheren Schulstraße. [Anmerkung: Das Haus nördlich der Einmündung, die Schulstraße ist die heutige Dr.-Gilles-Straße, siehe Foto. Das Aussehen des Hauses ist laut Mock bis auf die vergrößerten Schaufenster noch so wie in den 1930-er Jahren.] Die hatten da ein Lebensmittelgeschäft, in kleinerem Rahmen, wie das früher halt war. Daneben führten die denn auch alles was die Hausfrau zum Nähen und dergleichen brauchte, sei es Gummiband oder Nähgarn. Im Allgemeinen war die Größenordnung der Geschäfte doch ziemlich klein. Moritz Meyer war mehr mit seinem Auto unterwegs und verkaufte von Haus zu Haus seine Artikel.

Bei uns waren sie nicht Kunden, andere Bäckereien lagen näher. Das übernächste Haus, da war die nächste Bäckerei, damals Hohland [oder Roland ?], oder zwei Häuser weiter, da war noch eine Bäckerei Müller, eine uralte Bäckerei hier im Ort, und die kannten sich dann besser. Es war früher so, das haben wir noch im Geschäft erlebt, dass man sehr viele Stammkunden hatte, und das ging dann so weit, dass man, wenn ein Schwarzbrot nicht gerade zur Hand war, man sagte, Ja dann gehen Sie doch schnell zu Hohland, die sagten: Ja, da sind wir aber nicht Kunde! Da würde man heute drüber lachen. Damals war das so. Da kann ich mich erinnern, dass wir Kinder dann, wenn meine Mutter sagte: Geh doch mal schnell zu Hohland, wir von dort Brot für unsere Kunden besorgt haben. Und umgekehrt.

Direkt gekannt habe ich von der Familie nur den Moritz Meyer. Das war ein sehr umgänglicher Typ. Um die damalige Zeit hatten wir ja schon das Freibad in Weisweiler, da habe ich ihn des Öfteren gesehen, und wir haben hin und wieder ein paar Worte miteinander gesprochen. Er war ja damals so um die 25, ein paar Jahre älter als ich.

 

Die Familie Levenbach

[Mock verneint die Anmerkung, dass die Familie Levenbach nach Argentinien ausgewandert ist:] Levenbach – die sind eigentlich in Amerika. Ernst Levenbach, das war der Sohn, der ist nach dem Krieg zweimal hier gewesen. Und zwar hatte der einen guten Bekannten, das war der Jakob Kuckertz. Der ist aber auch schon verstorben. Und er hat dem Jakob Kuckertz dann erzählt, dass sie in Amerika gut Fuß gefasst hätten. Er unterhielt da eine Fleischfabrik. Jetzt muss ich dazu sagen, dieser Ernst Levenbach, der war überdurchschnittlich begabt, aufgrund dessen nehme ich auch an, dass er es da zu einer Fleischfabrik gebracht hat. [Anmerkung: Adolf Levenbach, geboren 1881 als Abraham Levenbach, seine Frau Regina und mehrere Kinder sind nach Argentinien emigriert, der älteste Sohn Leo bereits vorher nach Südafrika, die Tochter Johanna nach England].

 

Die Familie Neustadt

Das Geschäft der Familie Neustadt war Hauptstraße 4. Die Neustadts hatten ja nur Tuche und Stoffe und so weiter. Der Leo Neustadt fuhr damit auch über Land, der hatte dazu ein Auto. Und einmal monatlich nach Köln, zu einem Lager, wo er seine Waren einkaufte, die er dann später hier übers Land verkaufte.

Der Leo Neustadt übrigens war ja auch Soldat gewesen, im 1. Weltkrieg. Seine Schwester, das war die Rosa, die hatte dann den unehelichen Sohn Carl. Aufgrund dessen war der Carl Halbjude. Der war so ab dem vierten, fünften Schuljahr dann fast immer bei uns. Wir hatten gegenüber die Bäckerei. Der ist dann oft bei uns geblieben, der hat später den Führerschein gemacht und hat dann für uns Brotwaren gefahren. Wie gesagt, der ist bei uns mehr oder weniger groß geworden. Der war mehr bei uns als bei seiner Mutter gegenüber.

Ich kann sagen, das war mein Freund. Nur, er war Jahrgang 1917, ich 1921, er war vier Jahre älter. Also, das hat immer gut funktioniert. Für mich als dem Jüngeren war der Carl immer derjenige, der

wenn dann mal irgendwas unter uns Kindern war, als der Ältere geschlichtet hat. Wie das früher so war, hier auf dem Markt traf sich ja alles, alle Kinder hier rundum, vom Markt und der Hauptstraße undsoweiter.

Der Vater von dem Carl – das weiß ich nicht. Da wurde nie drüber gesprochen. Das war halt Neustadts Carl, da ist es immer bei geblieben. Der Vater muss aber ein Deutscher gewesen sein, also ich meine kein Jude. So dass Carl ein Halbjude war. Das weiß ich sicher, weil Carl versucht hat, das loszuwerden, während dieser Zeit, als das Dritte Reich sich so formierte. Also überhaupt, Jude zu sein. Das hat er bei der Polizei versucht oder was weiß ich. Er wühlte, irgendwie da raus zu kommen. Das Schlimme war ja dann später, als dieser Judenstern kam – die mussten ihren Stern sichtbar tragen, das musste auf die Kleidung drauf genäht werden – und der Carl hat das Revers meistens so gedreht, dass der Judenstern da drunter war. Hat das möglichst verdeckt getragen. Obwohl – der Carl, der war so bekannt, der ist auch von allen nicht irgendwie belästigt worden. War natürlich unangenehm, überhaupt diesen Stern zu tragen. Aufgrund dessen war er natürlich sichtbar Jude.

Als Carl das entsprechende Alter hatte, hat mein Vater ihn den Führerschein machen lassen, weil er merkte, das ist ein junger Mann, den wir für unsere Bäckerei brauchen können. Also er war nicht irgendwie in der Backstube tätig, sondern nur im Ausfahrgeschäft. Dafür war Führerschein notwendig, und mein Vater hat ihn dann den Führerschein machen lassen, denn von zuhause aus war da nicht viel. Carl hat das dann auch etliche Jahre gemacht. Er fuhr nach Frenz, Lamersdorf und alle diese Orte in der Umgebung, zu Privatkunden. Von daher war er auch rundum bekannt, er war der Neustadts Carl, er war ein Mann wie wir auch. Schließlich kam es dann so weit – wir haben dann einen Bescheid bekommen, über die Partei, das wäre kein Job für einen Juden, und wir mussten dann den Carl leider Gottes freistellen. Da hat er dann bei der Firma Faensen angefangen, dem bekannten Bauunternehmen in Eschweiler, einem der Größten. Da hat er dann so Kies gefahren und war eben am Bau tätig. Das hat man dann auch so weit akzeptiert, und das hat er dann auch bis zuletzt gemacht, bis die Juden dann alle ins Lager mussten. Aber das war dann eine Zeit, da weiß ich nichts mehr. Da wurde ich dann Soldat, das war dann 1941 schon. Und ab dann habe ich den Carl dann nie wieder gesehen.

Vom Aussehen her war Carl Neustadt ein gut gebauter junger Mann. Kräftig. Also gut aussehend, nicht zu dick, nicht zu dünn.

Das Verhältnis zwischen den Juden und der übrigen Bevölkerung – also hier im Ort kannte ja jeder jeden. Es war nicht so, dass man denen böse gegenüber stand. Im Gegenteil. Auch von Seiten der Juden, da weiß ich von meiner Mutter beispielsweise, dass die alte Frau Neustadt, wenn jemand in der Nachbarschaft krank war – ich kenne die nur als so etwa 70-jährige Frau – dass die dann für die Armen eine Rindfleischsuppe gekocht hat, und hat dann diesen Kranken die heiße Suppe gebracht. Diese Hilfsbereitschaft – man könnte froh sein, wenn das heute so wäre. Und von Seiten der jüdischen Familien, das muss man einfach auch erwähnen, es war nicht, dass die bösartig gewesen wären. Um Gottes willen. Das Einzige, was halt damals war – der Jude war uns einfach überlegen. Das fing in der Schule schon an: alle jüdischen Mitschüler, und das waren ja nicht wenige, waren überdurchschnittlich. Und hatten auch den großen Vorteil, dass die Eltern selbst gut geschult waren. Der Carl hat ja immer die jüdische Schule in Eschweiler besucht. Wogegen alle übrigen, zum Beispiel Levenbach, der Josef, und da war der Ernst, und die Frieda, die Kinder waren alle hier in Weisweiler in der Schule. Ich vermute mal, dass die Mutter von dem Karl, dass die den Karl nach Eschweiler in die jüdische Schule gemeldet hat, aufgrund dessen, dass er als uneheliches Kind, als Halbjude vielleicht Nachteile zu erwarten gehabt hätte. Aber dass ist eine Vermutung von mir.

Was mir auch aufgefallen ist: ich schrieb noch mit dem Griffel auf der Tafel, da hatte der Carl immer ein Tintenfass dabei, da schrieben die mit Feder und Tinte.

Ich war auch oft im Haus der Neustadts. Wie es dort ausgesehen hat? Da war es immer topsauber, aufgrund dessen, weil die ja ein Geschäft hatten. Aber nicht hochherrschaftlich, das waren ja alles die kleinen Juden. Die Neustadts hatten natürlich auch nichts zum Verschenken. Die, die man zuguterletzt gepackt hatte, das waren ja die Verkehrten. Wenn überhaupt. Diejenigen, die finanziell so etwa in der Lage waren, auszuwandern, die waren längst in Amerika. Der kleine Jude blieb dann übrig, und das war dann der Schuldige.

Aber in einem Ort wie Weisweiler, wo jeder jeden kannte, gab es hier im Ort niemanden, der sie irgendwie nicht hätte leiden mögen. Ich weiß zum Beispiel, von meiner Schwester: Als die Juden dann abgeholt worden sind, hat meine Mutter dem Carl noch ein Paket zurecht gemacht, mit möglichst haltbaren Sachen und vor allem reichlich Brot. Als wir dann später noch mal darüber gesprochen hatten, hieß es: Wenn der Carl noch lebte, der wäre längst hier in Weisweiler gewesen. Weil er doch wusste, wenn überhaupt nach Hause, dann zu uns. Und das Letzte, was da bekannt wurde, aber nur vom Hörensagen, war das Gerücht, der Carl, der wäre mit seiner Familie bei Berlin irgendwo gelandet. Das war es aber auch dann.

 

Die Familie Leyens

Die Familie Leyens war immer Kunde bei uns, also von der Bäckerei her. Meine Schwester hat bis zuletzt, dass die dann schließlich abtransportiert wurden, alles mit verfolgen können. Meine Schwester lebt aber auch leider nicht nicht mehr. Und sie hat mir berichtet, dass sie noch jede Woche, meist freitags, zu der Familie Leyens hinging. Die bekamen von uns vor der Zeit immer besonders gutes Weißbrot hingebracht, und meine Schwester hat das so zwischen hell-dunkel dann durch die Tür gereicht. Freitags wohl, weil Samstag Sabbat war. Ich selber kannte die Frau Leyens gar nicht, nur den alten David Leyens und die Tochter, die war ja immer bei ihm. Elsa Leyens. Die war ja wesentlich älter als ich.

Zuletzt geändert am: 01 Feb 2015 um 17:10:56

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