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Notizen & Neues 2013

55 unbekannte jüdische Gräber? Nein!

Veröffentlicht von Administrator (admin) am 30 Jan 2013
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Ursprung des Gerüchts ist ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 2002 über den Forschungsbericht „Zwangsarbeit im Kreis Aachen“ des Eschweilers Thomas Müller. Darin steht der Satz: „Außerdem seien auf dem Friedhof in Pumpe 55 Gräber von jüdischen Zwangsarbeitern zu finden.“

 

In Thomas Müllers Forschungsbericht, der 2003 auch als Buch unter dem Titel „Zwangsarbeit in der Grenzzone“ heraus kam, ist von 55 Gräbern jüdischer Zwangsarbeiter allerdings kein Wort zu lesen. Autor Thomas Müller berichtet über zwei Arbeitslager speziell für Juden im Kreis Aachen. Das war zum einen das Lager in Walheim. Die dort zur Arbeit gezwungenen Juden wurden meines Wissens beim Bau der Straße nach Roetgen, der so genannten Himmelsleiter, eingesetzt. Im November 1941 wurde dieses Lager nach Stolberg verlegt, zur Rhenaniastraße. Die dort untergebrachten jüdischen Zwangsarbeiter arbeiteten bei drei Firmen: Kali-Chemie, Aktienspinnerei und „Feuerfeste Produkte Peters“. Ob es zu Todesfällen kam, ist nicht bekannt. Im Juni 1942 wurden die dort noch festgehaltenen Juden wahrscheinlich in Vernichtungslager im Osten deportiert. Das Lager Rhenaniastraße wurde dann weiter für russische, später auch italienische Kriegsgefangene genutzt.

 

Dass 55 Arbeiterinnen und Arbeiter aus Walheim bzw. Rhenaniastraße umgekommen sind und in Eschweiler beerdigt wurden, halte ich für extrem unwahrscheinlich. Ich habe auch im Archiv des Eschweiler Standesamtes, in denen ich viel über die russischen Opfer der Zwangsarbeit gefunden habe, nichts entdeckt.

 

Irritierend ist, dass in alten Unterlagen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit mal vom „Friedhof Stich“ und mal vom „Friedhof Pumpe“ die Rede ist. Diese Friedhöfe sind wahrscheinlich identisch. Es handelt sich um den Friedhof am Friedhofsweg im Stadtteil Pumpe-Stich, nahe der Kirche St. Barbara, der später zum „Waldfriedhof Eschweiler“ erweitert wurde.

 

Was mir bei den Stichworten „Juden“ und „Friedhof Pumpe-Stich“ aber sofort in den Sinn kommt, ist das Judenlager. In einem noch nicht genau datierbaren Zeitraum wurden Juden aus Eschweiler und Umgebung gezwungen, vor ihrer Deportation nach Theresienstadt in zwei Lagern zu hausen. Das eine befand sich in einem heute noch existierenden einstöckigen Backsteinbau an der Stolberger Straße 259, im Volksmund Thiegsche Villa genannt. Das andere war in einer Holzbaracke auf dem Gelände des Friedhofs Stich, die kurz vor der Nazizeit als Pfarrheim der katholischen Gemeinde St. Barbara errichtet worden war. Wie viele Juden gezwungen wurden, in diesen beiden Gebäuden zu wohnen, und ob diese Lager gleichzeitig oder nacheinander (erst Stich, dann Stolberger Straße) betrieben wurden, habe ich noch nicht herausgefunden. Auch habe ich für die Zahl 55 keine Bestätigung. Aus den mir vorliegenden Namen der Deportation vom 25. Juli 1942 (Transport VII/2, Zug Da 71 ab Aachen in das Ghetto Theresienstadt) errechne ich 34 Juden aus Eschweiler und Umgebung, die zu diesem Zeitpunkt in einem oder beiden der Gebäude interniert waren, es soll aber laut einer Zeitzeugin weitere dort festgehaltene Juden gegeben haben.

 

Wie viele und welche Opfer der NS-Zeit auf dem Friedhof Pumpe bzw. Stich beerdigt wurden, ist kompliziert zu beantworten.

 

Nehmen wir zuerst den jüdischen Friedhof Talstraße. Dort wurden (von Juni 1942 bis Juni 1944) 69 russische Staatsangehörige beigesetzt, darunter 56 Kriegsgefangene. Es existiert eine Liste mit den Namen dieser 69 Personen. Die jüdischen Gräber auf diesem Friedhof waren zuvor eingeebnet, die Grabsteine an Steinmetze verkauft worden.

 

Weiterhin gab es einen italienischen Kriegsgefangenen, der in Nothberg beerdigt wurde, und den auf der Flucht erschossenen belgischen Kriegsgefangenen Edmond Baumann, der auf dem katholischen Friedhof Dürener Straße beerdigt wurde.

 

Es existiert eine zweite Liste über die „auf dem städtischen Friedhof Eschweiler-Pumpe beigesetzten Leichen der Ostarbeiter pp.“; hier sind 15 Namen von Männern, Frauen und Kindern aufgeführt. Die Sterbedaten liegen zwischen August 1943 und August 1944.

 

Die beiden Zahlen 69 und 15 passen auch mit einer Aktennotiz aus dem Jahr 1948 zusammen. Darin wird berichtet, dass eine russische Kommission die Gräber verstorbener Russen in Eschweiler besichtigen wolle, dafür „kämen infrage 15 Gräber auf Stich und 69 auf dem Friedhof Talstraße“.

 

Erstaunlicherweise gibt es aber eine dritte Liste mit dem Titel „Liste der verstorbenen russischen Zivilarbeiter während des Krieges“, auf der 37 Personen mit dem Sterbeort Eschweiler aufgeführt sind, darunter drei Babys – und diese Liste ist mit den beiden anderen nicht kompatibel. Von den 13 Zwangsarbeitern, die an der Talstraße beerdigt wurden, sind in dieser Liste nur 7 erwähnt. Von den 15 Toten der Liste „Stich“ sind 13 Namen aufgeführt. Die restlichen 17 Toten stehen auf keiner der beiden Listen. Falls es sich nicht um Personen aus auswärtigen Zwangsarbeiter-Lagern handelt, die im Eschweiler Krankenhaus gestorben sind und dann wieder zurück transportiert wurden, was ich für wenig wahrscheinlich halte, stellt sich die Gesamtzahl der in Eschweiler als kriegsgefangene oder zivile Zwangsarbeiter und deren Angehörige gestorbenen Männer, Frauen und Kinder nicht auf (69+15=) 84, sondern auf 110 Personen, plus einen belgischen und einen italienischen Kriegsgefangenen. Nicht berücksichtigt sind außerdem mögliche Sterbefälle in den Stadtteilen, die damals nicht zu Eschweiler gehörten, also Weisweiler und Dürwiß. Dazu gehört zumindest der polnische Landarbeiter Johann Zdum, der wegen eines Verhältnisses mit einer deutschen Frau am 20. März 1942 in Dürwiß gehenkt wurde.

 

Die 69 auf dem jüdischen Friedhof Talstraße beerdigten Russen wurden (möglicherweise 1949, spätestens im Jahr 1954) zum Waldfriedhof umgebettet. Später – der Zeitpunkt ist mir noch nicht bekannt, es muss aber vor 1961 gewesen sein – wurden alle diese Leichen erneut umgebettet, zur Sowjetischen Kriegsgräberstätte Simmerath-Rurberg (siehe Foto). Dort findet sich die Information, dass unter den 2322 russischen Männern, Frauen und Kindern, die auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhe fanden, 88 vom Friedhof Eschweiler-Stich umgebettet wurden. Das Friedhofsamt der Stadt Eschweiler hat darüber angeblich keine Unterlagen mehr, auch die Lage der 15 (bzw. 84 oder 88) Gräber auf dem Friedhof Stich vor der Umbettungsaktion ist dort nicht bekannt.

 

Eine Akte des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, die Thomas Müller in seinem Buch „Zwangsarbeit in der Grenzzone“ ausgewertet hat, nennt eine noch höhere Zahl von Todesopfern unter den Kriegsgefangenen und ausländischen Zwangsarbeitern in Eschweiler. In dieser Akte, die ich bislang noch nicht eingesehen habe, werden für Eschweiler zwar statt der von mir ermittelten 54 nur 43 Zivilarbeiter (plus ein Kind) genannt, aber 81 (!) Todesfälle von Kriegsgefangenen. Das macht eine Gesamtzahl von 125 Toten. Hinzu kommen in Dürwiß 13 Kriegsgefangene und vier Zivilarbeiter sowie in Weisweiler zwei Zivilarbeiter und ein unbekanntes Opfer.

Zuletzt geändert am: 01 Feb 2013 um 17:56:18

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