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Friedrich Dinstühler

 

 

 

Friedrich Dinstühler

Ein Stolperstein für Friedrich Dinstühler wurde am 11. Juni 2015 vor der Pfarrkirche St.Peter und Paul am Eschweiler Markt verlegt.

Text für den Stolperstein:
FRIEDRICH DINSTÜHLER
PFARRER
JG.1896
IM CHRISTICHEN WIDERSTAND
VERHAFTET 1944
BUCHENWALD - OHRDRUF
ERMORDET 1945

Kurzbiografie:

Pfarrer Friedrich Dinstühler war eine Eschweiler Persönlichkeit, auch wenn er nicht aus Eschweiler stammte und hier auch nicht sein letzter Wohnsitz war. Manche älteren Bürger können sich noch an ihn erinnern.

Dinstühler wurde 1896 in Marienheide geboren, 1922 wurde er im Kölner Dom zum Priester geweiht. Sein erste Stelle als Kaplan war in Dürwiß, 1924 wurde er nach Eschweiler versetzt. Nach zehn Jahren als Kaplan in Eschweiler wurde er 1934 Rektor an St. Barbara in Hückelhoven. 1938 wurde er Pfarrer an St. Lambertus in Hückelhoven. Die Straße, an der die Kirche St. Lambertus liegt, heißt heute Dinstühlerstraße.

Pfarrer Dinstühler war ein engagierter Gegner des Nationalsozialismus. In der NS-Zeit wurden Dinstühlers Predigten bespitzelt, Religionsunterricht an Schulen wurde ihm untersagt. Er blieb in Hückelhoven, auch als der Ort im Krieg evakuiert wurde, und hielt Gottesdienste im Keller des Pfarrhauses. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er sich nach einem Gottesdienst in seinem Heimatort Marienheide bei einem Zusammensein im kleinen Kreis kritisch über das Regime äußerte. Angeblich soll ihn einer seiner Amtsbrüder noch am gleichen Tag bei der Gestapo angezeigt haben. Am 18. Dezember 1944 wurde Dinstühler verhaftet, er starb im Februar oder März 1945 im Außenlager Ohrdruf des Konzentrationslagers Buchenwald.

 

 


Wie Friedrich Dinstühler verraten wurde

 

Der katholische Pfarrer Friedrich Dinstühler, geboren 20. Oktober 1896 in Marienheide (nahe Gummerbach im Bergischen Land), war ein Gegner der nationalsozialistischen Ideologie, er starb im Frühjahr 1945 im Außenlager Ohrdruf des Konzentrationslagers Buchenwald. Über seine Verhaftung und seinen Tod berichtete seine Nichte Anna-Regina Cremer geb. Dinstühler im Pfarrblatt „Begegnung“ der Katholischen Kirchengemeinde St. Mariä Heimsuchung Marienheide, Ausgabe 184 – 01/2015. Der folgende Text basiert auf diesen Erinnerungen.

 

Im November 1944 hatten amerikanische Truppen bereits Aachen erobert. Für die Bergbaustadt Hückelhoven, 40 Kilometer nordwestlich von Aachen, lief die Evakuierung. Alle zivilen Bewohner hatten den Ort zu verlassen. Friedrich Dinstühler, Pfarrer von St. Lambertus in Hückelhoven, war in seinen Geburtsort Marienheide zurück gekehrt.

 

An einem kalten Novembermorgen 1944 las Friedrich Dinstühler an einem Seitenalter der katholischen Pfarrkirche in Marienheide die Messe. Anschließend saß er mit dem Pfarrer des Ortes, Weingarz, und dem Vikar Homann beim Frühstück zusammen. Weingarz war ein Studienkollege von Dinstühler, gemeinsam waren beide 1922 im Kölner Dom zu Priestern geweiht worden. Im vertraulichen Gespräch mit seinen Amtsbrüdern erzählte Dinstühler, er wolle zurück nach Hückelhoven, um die dort noch lebenden Bergarbeiter als Seelsorger zu betreuen. Vikar Homann soll noch versucht haben, Dinstühler mit einem Fußtritt unter dem Tisch zu warnen. Vergeblich. Homanns Misstrauen gegenüber Pfarrer Weingarz war berechtigt. Denn der Studienfreund von Friedrich Dinstühler war nicht nur katholischer Priester. Er war auch, wie seine Nichte im Pfarrbrief von Marienheide berichtete, der Gestapo-Spitzel G 36/21.

 

Die Akte der Geheimen Staatspolizei mit dem Bericht des Spitzels ist erhalten geblieben, sie liegt im Landesarchiv NRW. Mit dem Datum 6. Dezember 1944 wird dort gemeldet:
 

„Betrifft: Geistliche in den vom Feind besetzten Orten

G 36/21 meldet: Streng vertraulich wurde bekannt, dass der kath. Pfarrer Fritz Dinstühler, geb. am 20.10.1896 in Marienheide, wohnhaft in Hückelhoven, Dekanat Linnich, die Absicht geäußert hat, nach Hückelhoven zurückzukehren. Dinstühler war bereits aus Hückelhoven evakuiert und hielt sich bis zum 4.12.1944 in Marienheide auf. Mit dem Hinweis, die in Hückelhoven zurück gebliebenen Bergleute seelsorglich betreuen zu müssen, hat er Marienheide verlassen. Er hat die Absicht bekundet, beim Feind zurück zu bleiben. Er äußerte sich, bei Gefahr in einem ihm bekannten sicheren Stollen in Hückelhoven Schutz zu suchen.

Vermerk: Falls der Feind Hückelhoven noch nicht besetzt haben sollte, muß durch das Kommando Erkelenz umgehend das Weitere veranlasst werden. Für eine streng vertrauliche Behandlung der Angelegenheit ist unbedingt Sorge zu tragen, da sonst der Gewährsmann äußerst gefährdet würde, weil der Geistliche diesem allein sein Vorhaben vertraulich mitgeteilt hat.“

 

Das Gestapo-Kommando Erkelenz veranlasste „das Weitere“. Nach den Erinnerungen der damaligen Pfarr-Haushälterin Gertrud Beckers nahm die Gestapo am 18. Dezember 1944 den Pfarrer von Hückelhoven im Keller des Pfarrhauses fest, wo er damals lebte. Das Pfarrhaus selber war durch Granattreffer beschädigt und nicht bewohnbar.
 

In seiner Zeit in Hückelhoven – Dinstühler war vorher, von 1922 bis 1934, Kaplan in Dürwiß und Eschweiler – hatte sich der Geistliche mehrfach mit dem Nazi-Regime angelegt, wie viele andere seiner Amtskollegen. Zwar hatte die Führung der katholischen Kirche – besonders Papst Pius XII. – den Nazis kaum Widerstand entgegengesetzt und zur Judenvernichtung meist geschwiegen. Doch „an der Basis“, bei engagierten Geistlichen und Laien, gab es mutigen und engagierten Widerstand. Die Nazis haben intensiv versucht, das katholische Milieu als die letzte große gesellschaftliche Gruppe, die sich nicht „gleichschalten“ ließ, aufzubrechen. Sie witterten dort Subversion, und das zu Recht. Nicht umsonst saßen immer wieder Spitzel von Polizei und Gestapo in den Gottesdiensten, um Predigten verdächtiger Priester und Kapläne mitzuschreiben. Und die örtlichen Gestapo-Stellen lieferten regelmäßig jeden Monat Berichte über „Maßnahmen gegen Geistliche beider Konfessionen“ an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin und die Gestapo-Leitstelle in Düsseldorf.

 

Auch Dinstühler wurde von der Gestapo vorgeladen, verhört, bedroht, gemaßregelt. Zwei dieser Vorfälle sind in den Akten der Geheimen Staatspoliztei zu finden, aus der Zeit, als Friedrich Dinstühler Rektor der Ende 1933 neu geschaffenen Pfarre St. Barbara in Hückelhoven war.

 

1936 hatte ein Professor, der Anhänger des Nationalsozialismus war, in einem Vortrag in Hückelhoven über die „Judenfrage“ sich auch abfällig über das Alte Testament geäußert. Dinstühler nahm daraufhin in einer Predigt Stellung. Er habe, so berichtete seine Nichte, die Zuhörer in dem Gottesdienst aufgefordert: „Lasst euch in Zukunft nicht mehr derartig moralisch ohrfeigen und auch nicht in euren Gefühlen verletzen. Die ganze Heilige Schrift ist Gottes Wort, auch das Alte Testament.“ Daraufhin wurde er von der Gestapo vernommen. In dem Verhör am 22. Dezember 1936 soll Friedrich Dinstühler gesagt haben: „ Was geht es mich an, was der Staat über die Juden denkt?“ Eine der Folgen dieser Vernehmung: Dinstühler wurde als Religionslehrer geschasst. Der damalige Aachener Regierungspräsident schrieb ihm am 18. Januar 1937, seine Äußerungen in der Predigt seien gegen Parteiorgane gerichtet und „geeignet, Beunruhigung in die Bevölkerung zu tragen“. Hinzu kämen seine Auslassungen in der Vernehmung. Zitat: „Durch diese Haltung haben Sie bewiesen, dass Sie den nationalsozialistischen Staat ablehnen. Ich entziehe Ihnen daher mit sofortiger Wirkung die Genehmigung zur Erteilung des Religionsunterrichtes in den mir unterstellten Schulen.“

 

Auch gegen Kriegsende, als Aachen längst schon erobert war, funktionierte das tödliche Spitzel-System der Nazis und die Verfolgung aller Regime-Kritiker wie eine mit blindwütigem Hass geölte Maschine. Pfarrer Dinstühler hatte zwar Hückelhoven in der Evakuierung verlassen, kehrte aber immer wieder in seine Gemeinde zurück, obwohl die Stadt bereits mit Granaten beschossen wurde. Zuletzt feierte er die Messe im Keller des Pfarrhauses. Es seien „ergreifend schöne Katakomben-Gottesdienste“ gewesen, zitierte Dinstühlers Nichte Anna-Regina Cremer jetzt aus dem letzten Brief des Pfarrers. 130 Menschen aus der eigentlich schon evakuierten Stadt seien in den drei Messen am 1. Adventssonntag des Jahres 1944 gewesen. [Anmerkung: Eventuell handelte es sich um den 2. Adventssonntag. Denn am 1. Advent, dem 3. Dezember 1944, soll Dinstühler nach dem Gestapo-Bericht noch in Marienheide gewesen sein.] Der Brief endete mit dem Wunsch: „Bleibt alle Gott befohlen. Beten wir füreinander. Auf ein frohes Wiedersehen.“

 

Nach den Schilderungen von Dinstühlers Nichte wurde der Geistliche zunächst verhört und dann in das überfüllte Kölner Gefängnis „Klingelpütz“ gebracht. „Mitte Januar versuchten mein Vater und mein Onkel Karl ihn dort zu besuchen – leider ohne Erfolg.“ Friedrich Dinstühler schaffte es aber, Kassiber aus dem Gefängnis zu schmuggeln und seinen Verwandten zukommen zu lassen. Darin bat er zum Beispiel um Einlegesohlen, eine warme Decke, Ungezieferpulver und einen Pappkarton. Auf einem der geschmuggelten Zettel bedankt er sich noch: „Liebe Grüße und besten Dank. Es geht mir gut. Betet für mich. Euer Fritz“.

 

Später, so berichtet Anna-Regina Cremer, habe ihr Vater erfahren, dass „Onkel Fritz am Morgen des 15. Januar zum Verhör abgeholt wurde und gegen 14 Uhr zurückkehrte“. Unmittelbar danach sei er mit rund 300 weiteren Gefangenen und eskortiert von einer halben Hundertschaft Polizisten zum Abtransport in das Konzentrationslager Buchenwald beordert worden. Am 24. Januar 1945 seien die Häftlinge dort eingetroffen.

 

Von Marienheide aus bemühte man sich um eine Freilassung Dinstühlers. Es soll sogar einen Brief der Kölner Gestapo gegeben haben, in dem der Transport des Geistlichen nach Buchenwald als Irrtum bezeichnet worden sei. Anna-Regina Cremer: „Karl Kühr, der im März zu einem Zweigwerk der Firma Rüggeberg nach Thüringen fuhr, überbrachte [...] ein Schreiben der Gestapo Köln, um dort die Freilassung des Herrn Pfr. Dinstühler zu erwirken.“ Und weiter: „In diesem Brief stand, dass mein Onkel aufgrund eines Irrtums nach Buchenwald gekommen und auf Grund des vorerwähnten Briefes sofort freizulassen sei. Der Sachbearbeiter, der den Fall meines Onkels zu kennen schien, sagte Herr Kühr dann, dass der Brief leider zu spät angekommen sei, wie auch zwei Briefe gleichen Inhalts von der Kölner Gestapo.“

 

Friedrich Dinstühler kam in das Außenlager Ohrdruf des Konzentrationslagers Buchenwald und musste zusammen mit vielen anderen KZ-Gefangenen Schwerstarbeit leisten. Sie gruben einen Stollen, vermutlich für einen Luftschutzbunker. Ein Zeitzeuge berichtete später, er habe nach einiger Zeit der Abwesenheit Dinstühler in dem Außenlager gesucht; er habe aber nur gehört, dass der Pfarrer in der Zwischenzeit „eingegangen“ sei. Man habe ihn zu den anderen Toten in die Leichenbaracke geworfen.

 

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf

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